Fotografie Blog

von Frank Tegtmeyer, Henstedt-Ulzburg

Bildkomposition lernen

Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die Bildkomposition behandelt.

Die Bildkomposition ist ein wichtiger Bestandteil eines guten Fotos. Sie ist ein Teil der visuellen Sprache, mit der ein Fotograf sein Anliegen kommuniziert.

Ein Kommentar auf einen meiner Artikel

In den sozialen Medien poste ich meistens einen Link, sobald ich einen neuen Artikel geschrieben habe.

Oft erhalte ich dabei Kommentare der folgenden Art:

Frank deine Bilder sind sehr gut und gefallen mir immer wieder. Aber wenn ich mir jedes Mal deine Theorien durch den Kopf gehen lassen müsste käme ich zu keiner vernünftigen Aufnahme.

Das ist ein Beispiel, das stellvertretend für andere Kommentare und Rückmeldungen steht. Der Tenor ist immer - “Das ist so kompliziert, dass ich es beim Fotografieren nicht anwenden kann”.

Mal abgesehen davon, dass es nicht meine Theorien sind, halte ich diese Aussage für falsch.

Bildkomposition ist erlernbar

Jeder Künstler der Bilder herstellt - sei es als Fotograf, Maler, Zeichner, Graffiti-Sprayer oder teilweise auch Bodypaint-Künstler hat als Kommunikationsmittel nur die visuelle Wahrnehmung des Betrachters zur Verfügung.

Im Film hat man den zeitlichen Ablauf und den Ton als ergänzende Mittel, im Theater die direkte Präsenz der Schauspieler im dreidimensionalen Raum, bei Skulpturen die drei Dimensionen des Raums und die Texturen der Oberflächen etc.

Bilder sind (in der Regel) auf zwei Dimensionen begrenzt und müssen sich mit optischen Mitteln begnügen. Die visuelle Wahrnehmung der Betrachter ist also der einzige Kommunikationsweg den der Künstler nutzen kann.

Was er dazu benötigt ist eine visuelle Sprache, die ebenso wie das gesprochene oder geschriebene Wort bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Elemente dieser Sprache sind Farben, Formen, die Anordnung von Elementen auf der Fläche, ihre Beziehung untereinander usw. Schon die Auswahl des Darstellungsformats - Rechteck, Quadrat, Kreis, Ellipse, … - hat eine bestimmte Wirkung auf den Betrachter und natürlich steht auch der Inhalt des Bildes mit dem Format in einer Beziehung, die sich dem Betrachter mitteilt.

Alle diese Elemente bilden die schon erwähnte visuelle Sprache und wie jede andere Sprache kann diese erlernt werden.

Mir ist wichtig, folgendes anzumerken:
Es geht hier nicht um Regeln, wie zum Beispiel die sinnlose Drittel-Regel.

Für Bildkomposition gibt es keine Regeln.

Was es gibt, sind Elemente der visuellen Sprache, die in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden können, aber nicht müssen. Was dem Fotografen bewußt sein muß ist die Wirkung der einzelnen Elemente und Techniken. Daraus kann er sich dann seine eigene Art, visuell zu kommunizieren, zusammenbauen.

Und vorausgesetzt, der Künstler/Fotograf will dem Betrachter etwas mitteilen, ist er sogar gezwungen, die Elemente der visuellen Sprache zu benutzen. Und diese sollte er bewußt einsetzen können, ansonsten kommt beim Betrachter eben auch keine klare Botschaft an - wenn man beim Sprechen nur Gestammel von sich geben kann, kann der Zuhörer auch nichts verstehen.
Ich denke hier zum Beispiel an den Mönch Salvatore, der sich in “Der Name der Rose” in dem abgelegenen Kloster versteckt. Er versucht, sich mitzuteilen aber die Nachricht kommt kaum an.
Dass der Fotograf dem Betrachter etwas mitteilen möchte sollte man annehmen - ansonsten wäre das Foto nicht gemacht und gezeigt worden, oder?

Hier der Filmausschnitt mit Salvatore, der ein babylonisches Sprachgewirr spricht und deswegen nicht verstanden wird:

Achtung: Der Klick auf das Bild öffnet ein Video auf Youtube. Youtube video UAgsq8Suna4

Alles so kompliziert?

Sicher - anfangs ist die Menge der Dinge die man lernen kann fast unüberschaubar. Aber wie bei allem hilft es, sich zu fokussieren.
Lernen Sie ein Sprachelement nach dem anderen. Erst wenn Sie eines wirklich in verschiedensten Spielarten verwenden können, ohne dabei groß nachdenken zu müssen, gehen Sie zum nächsten Sprachelement über. Niemand kann alles gleichzeitig erlernen.

Vergleichen wir das mal mit der Fahrschule.

Ihre erste Fahrstunde findet (hoffentlich) in einer sicheren Umgebung statt. Sie lernen zunächst die Bedienelemente des Fahrzeugs kennen. Danach geht es weiter mit dem Anlassen und Ausschalten des Motors. Im nächsten Schritt fahren Sie vielleicht wenige Meter im ersten Gang und halten dann wieder an.
So geht es Schritt für Schritt weiter, bis Sie schließlich im wirklichen Verkehr fahren.
Und merken Sie was? Wenn Ihr Fahrlehrer gut ist, läßt er Sie das erst dann machen, wenn Sie über die Bedienung des Fahrzeugs nicht mehr nachdenken müssen. Das haben sie sozusagen schon verinnerlicht und können sich in den nächsten Fahrstunden auf die Bewältigung des Straßenverkehrs konzentrieren.

Wenn Sie nun noch zwei Jahre weiter denken werden Sie feststellen, dass sie beim Autofahren gar nicht mehr über das Auto nachdenken und eventuell auch nicht mehr über den Verkehr - sie fahren zwar aufmerksam und rücksichtsvoll, müssen sich aber nicht in jeder Situation an irgendwelche Paragraphen der StVO erinnern.

Und jetzt die große Frage: Warum soll das beim Fotografieren anders sein?

Machen Sie sich einfach einen Plan, was Sie erlernen möchten und arbeiten Sie konsequent daran - sie werden merken, wie schnell Sie Fortschritte machen, vor allem dann, wenn Sie von Zeit zu Zeit ihre älteren Bilder analysieren.

Nach einem halben Jahr werden Sie anfangen, anders zu sehen. Nach einem Jahr können Sie verschiedene Techniken schon bewusst (aber ohne lange nachzudenken) einsetzen und nach zwei Jahren ist ihr Arsenal der Gestaltungstechniken so groß, dass sie jede Gestaltungssituation bewältigen.

Praktischer Vergleich

Vergleichen wir zwei Fakten: einmal den Satzbau der deutschen Sprache und das Grundgerüst des Rechtecks in der Dynamischen Symmetrie.

Zum Satzbau: (Quelle: Lingolia)
Der Satzbau im Deutschen ist recht flexibel. Als Grundregel sollten wir uns merken:

  • Das finite Verb besetzt immer die zweite Position im Satz.
  • infinite Verbformen (Infinitiv, Partizip II) stehen am Satzende.
  • Das Subjekt steht in vielen Fällen am Satzanfang. Im Deutschen können aber auch andere Satzglieder (z. B. Objekt, Orts- oder Zeitangabe) am Satzanfang stehen. Wenn das der Fall ist, rutscht das Subjekt hinter das finite Verb.

Klingt ziemlich kompliziert. Aber jeder, der Deutsch einigermaßen erlernt hat, kann es anwenden.

Nun zum Grundgerüst des Rechtecks in der Dynamischen Symmetrie:

  • Zwei Diagonalen
  • von den Ecken ausgehend jeweils eine Senkrechte auf die Diagonalen

Das ist doch viel simpler, oder? Hier das passende Bild dazu:

Banner-Bild

Schlusswort

Also zusammengefasst: Bildkomposition ist erlernbar und zwar mit überschaubarem Aufwand. Ausreden gelten nicht.

Wenn Sie nicht bei mittelmäßigen Fotos stehenbleiben möchten (was Ihnen natürlich niemand verwehren kann), müssen Sie sich mit den Mitteln der Bildgestaltung auseinandersetzen.

Heißt das, dass Ihre zukünftigen Fotos großartig werden? Eventuell. Wenn man die handwerklichen Fähigkeiten für eine künstlerische Tätigkeit hat, garantiert das keine künstlerisch wertvollen Ergebnisse. Aber es ist die Vorraussetzung dafür.


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