Fotografie Blog

von Frank Tegtmeyer, Henstedt-Ulzburg

Das Märchen von der Kompression durch Teleobjektive

Aufnahmen bei gleichem Abstand und verschiedenen Brennweiten

Ein Märchen hält sich im Internet hartnäckig: das Märchen von der Kompression durch Teleobjektive. Normalerweise ignoriere ich solche Beiträge.
Wenn ich das aber im Buch einer renommierten Profi-Fotografin lese, ist es Zeit doch einmal etwas gegen diese Falschdarstellungen zu tun. Deshalb dieser Artikel.

Um es gleich vorauszuschicken:
Natürlich kann man durch die Verwendung verschiedener Brennweiten auch verschiedene “Kompressions”-Effekte in den Bildern erzielen, wenn man dabei den Abstand zu den Objekten verändert.
Der erzielte Effekt hat jedoch überhaupt nichts mit der verwendeten Brennweite zu tun sondern mit der Perspektive (sprich: Abstand zum Objekt). Dieser Umstand wird von den meisten der Autoren einfach unterschlagen. Ob das am fehlenden Verständnis der Physik/Geometrie oder an der Angst, sein Publikum zu überfordern, liegt sei dahingestellt.

Ausgangspunkt der Diskussion

Hauptsächliche Verbreiter der Kompressions-Aussagen sind Portrait-Fotografen. Die Effekte entstehen natürlich ebenso bei Landschaftsfotografie, Makrofotografie und allen anderen Arten der Fotografie, dort wird das aber meistens nicht in dieser Form thematisiert, da man auch öfter einfach den Bildausschnitt wechselt.

Portrait-Fotografen gehen bei dieser Diskussion von einem festen Bildausschnitt aus und erklären dann den Effekt bei verschiedenen Brennweiten.
Was einfach verschwiegen wird: Um den gleichen Bildausschnitt bei einer anderen Brennweite zu bekommen, muss ich die Entfernung aus der ich fotografiere, verändern.
Das oben erwähnte Buch (“Das Posing-Handbuch” von Lindsey Adler) geht sogar so weit zu behaupten, dass diverse Vergleichsaufnahmen mit dem gleichen Kamera-Abstand gemacht wurden, was physikalisch unmöglich ist. Warum so etwas behauptet wird entzieht sich meiner Vorstellungskraft.

Im folgenden wird ein Demonstrations-Aufbau beschrieben, bei dem verschiedene Brennweiten eingesetzt werden, einmal mit Änderung des Abstands zur Kamera und einmal ohne.

Demonstrations-Aufbau

Aufnahme im Hochformat vom Stativ aus, Objektivmitte auf Objekthöhe, Blende 22 bei allen Aufnahmen

Objektive:

  • Zeiss Batis 2 / 25 (25mm Brennweite, Bildfeld 72°)
  • Sony FE 2.8 / 90 Macro (90mm Brennweite, Bildfeld 22,5°)
Demonstrations-Aufbau

Tests mit festem Abstand

Schauen wir uns zunächst an, was bei einem festen Abstand passiert, wenn wir verschiedene Brennweiten einsetzen.

Jedes Objektiv hat ein definiertes Bildfeld, das unter anderem von seiner Brennweite abhängt. Für die oben genannten Objektive habe ich das Bildfeld (den Öffnungswinkel) für die lange Seite des Bildformats angegeben. Beim Zeiss-Objektiv gibt der Hersteller den Wert an, beim Sony-Objektiv habe ich den Wert aus dem angegebenen Winkel für die Bild-Diagonale berechnet und mit einer groben Messung überprüft.
Für Objektive mit kurzer Brennweite findet sich der Winkel schon im Namen. Diese werden Weitwinkel-Objektive genannt. Objektive mit großen Brennweiten heißen dann allerdings nicht Schmalwinkel-, sondern Tele-Objektive.

Die folgenden schematischen Darstellungen verwenden keine echten Werte sondern sollen nur das Prinzip verdeutlichen. Sie sind auch nicht geometrisch exakt - wie gesagt, sie dienen nur der Veranschaulichung.

Aufnahmen bei gleichem Abstand und verschiedenen Brennweiten

Auf der linken Seite sehen Sie die Bildfelder für zwei verschiedene Objektive - das grüne für das Tele-Objektiv und das andere für das Weitwinkel-Objektiv.

Die Aufnahme, die mit dem Tele-Objektiv entstehen würde, sehen Sie im “Bild Teleobjektiv”. Rechts daneben ist die Aufnahme dargestellt, die mit dem Weitwinkel-Objektiv entstehen würde. Das grüne Rechteck symbolisiert die Bildfläche die bei einem Beschnitt übrig bleibt, wenn man den gleichen Bildausschnitt erzielen möchte wie beim Teleobjektiv.
Ganz rechts sehen Sie das Ergebnis, wenn man das Weitwinkel-Bild entsprechend beschneidet.

Der entscheidende Punkt ist: Das Bild ganz rechts ist identisch mit dem des Bildes des Teleobjektivs. Die Größenverhältnisse zwischen beiden Kugeln haben sich nicht verändert.

Hier entsprechende reale Aufnahmen mit dem oben beschriebenen Aufbau.

Aufnahmen mit festem Abstand

Sie sehen also - wenn man den Aufnahmeabstand nicht ändert (gleiche Perspektive), dann ändern sich auch die Größenverhältnisse der dargestellten Objekte nicht.
Der sogenannte Kompressions-Effekt kommt nicht zum Tragen egal welches Objektiv man verwendet.
Ein Unterschied ist zu sehen, der aber mit der Kompressionsdiskussion nichts zu tun hat: die Schärfentiefe ist bei der Weitwinkel-Aufnahme größer.

Tests mit variablem Abstand

Jetzt ändern wir den Versuchsaufbau. Die Aufnahme mit dem Tele-Objektiv erfolgt wiederum vom gleichen Punkt, aber für die Weitwinkel-Aufnahme positionieren wir die Kamera dichter an den Objekten. Wir wählen einen Standort, der ungefähr den gleichen Bildausschnitt wie bei der Tele-Aufnahme erzeugt (für das Objekt, das sich am dichtesten an der Kamera befindet).

Aufnahmen bei verschiedenen Abständen und verschiedenen Brennweiten

Wenn man vom Weitwinkel-Bild ausgeht, erscheinen die Abstände zwischen den Objekten im Bild des Tele-Objektivs kleiner bzw. verkürzt. Das ist das, was mit Kompression gemeint ist.

Aber: wie wir gesehen haben entsteht die Kompression nur durch die Verschiebung des Aufnahmestandorts, also eine Änderung der Perspektive. Sie hat nichts mit der Brennweite des Objektivs zu tun.

Hier die passenden Aufnahmen mit den realen Objekten:

Aufnahmen mit variablem Abstand

Fazit

  • die sogenannte Kompression erfolgt nur durch die Wahl der Perspektive
  • die Behauptung, dass Objektive mit längeren Brennweiten mehr komprimieren ist zumindest sprachlich unsauber - sie setzt einfach voraus, dass man dabei den Aufnahmestandort verändert

Lassen Sie sich also durch solche Aussagen nicht verwirren. Wählen Sie die Perspektive, die sie brauchen und dann das passende Objektiv für den gewünschten Bildausschnitt.

Diese Vorgehensweise ist vor allem bei Zoom-Objektiven zu empfehlen.


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Frank Tegtmeyer (2021-09-22 20:16)

Hallo jajdh,

wenn sich jemand bei dem Ausdruck Telekompression auf die Bildwirkung bezieht, habe ich damit überhaupt kein Problem.
Es gibt aber genügend Autoren, Blogger, Youtuber etc. die den Effekt dem Objektiv als physikalische Eigenschaft zuschreiben. Dass dies falsch ist - darum geht es hier im Artikel und ich finde das keineswegs irrelevant.
Die Diskussion ob Sachverhalte korrekt oder “leicht verständlich” dargestellt werden sollten findet man fast in jedem technischen Bereich und ich bin ein klarer Vertreter der Fraktion, die eine korrekte Darstellung erwartet.

Kleines Beispiel: In einer pseudowissenschaftlichen Sendung auf Arte wurde vor Kurzem verkündet, dass die Bergwerksstollen im Ruhrgebiet demnächst zur Ernergieerzeugung benutzt werden, indem man Wasser von der Oberfläche zur Sohle fließen läßt und dabei Strom erzeugt. Das Wasser würde dann wieder an die Oberfläche gepumpt und danach wieder zur Sohle des Bergwerks geleitet. Alles garniert mit einer hübschen Animation, die diesen Kreislauf darstellte.
Was stellt sich der Durschnittsbürger vor? Ein Perpetuum Mobile, mit dem endlos Energie erzeugt werden kann und das schon in nächster Zukunft.
Was ist die Realität? Es geht um die Nutzung als Pumpspeicherkraftwerk, also nur als temporären Energiespeicher. Und das ganze ist nur eine Idee - in einer Studie wurde ein mögliches Pilotprojekt wegen zu hohen Kosten als nicht realisierbar eingestuft.
Diese Form der Desinformation findet man zu häufig und mein Artikel soll ein kleiner Beitrag dagegen sein.

Mit freundlichen Grüßen,
Frank Tegtmeyer

jajdh (2021-09-22 16:26)

Telekompression beschreibt den Look des Fotos, nicht die physikalischen Eigenschaften eines Objektives. Als Fotograf erkennt man doch. ob irgendwelche Fotos mit Tele, Weitwinkel, Makro etc. aufgenommen wurden. Nicht weil das da steht, sondern die Bildwirkung einfach so speziell ist, dass man es eindeutig bestimmten Brennweitenbereichen zuordnen kann. Manche Leute können sogar ziemlich exakt die Brennweite erkennen die benutzt wurde. Ausgangspunkt beim Foto betrachten ist ja immer man selbst in der Position in der man sich grade befindet. Guckt doch keiner Fotos an und denkt “ich sehe das Foto aus der Perspektive die ich hätte, wenn ich 20m weiter weg stehen würde mit Brennweite xyz”.
Geht einfach nicht um physikalische technische Dinge. Nur um den Look, die Bildwirkung. Tele benutzt man ja bei Situationen, wo man eben nicht wirklich den Abstand ändern kann. Fußballspiel z.B., oder Fotosafari in der Savanne, usw. Deswegen wird halt landläufig von Telekompression geredet weil man eben von realistischen Zuständen ausgeht. Wie Fotos auf uns wirken durch die Objektive ist der Punkt. Ob das jetzt physikalisch korrekt ist oder nicht, ist irrelevant. Fotos sollen ja ne bestimmte Wirkung haben auf die Personen die es ansehen.

Frank Tegtmeyer (2020-10-28 23:11)

Hallo Herr Gottorf,

was Sie zum Abbildungsmaßstab schreiben ist zwar richtig aber das hat mit dem Thema des Artikels leider nichts zu tun. Hier geht es um die perspektivischen Verzerrungen die dem Objektiv zugeschrieben werden aber nur durch den Abstand zu den Objekten definiert sind.

Mit freundlichen Grüßen,
Frank Tegtmeyer

Jann Gottorf (2020-10-28 21:58)

Physikalisch ist die Erklärung zwar vollständig richtig lässt aber ebenfalls einen wichtigen Faktor ausser acht nämlich den Abbildungsmaßstab und der ist tatsächlich bei gleicher Distanz zum Objektiv bei einem Weitwinkelobjektiv deutlich kleiner als bei einem Teleobjektiv
Sie haben also die Weitwinkelbilder DEUTLICH beschnitten um auf den gleichen Maßstab zu kommen insofern ist der Versuch und die Beispiele nicht aussagekräftig weil sie Unterschiedlichen Maßstäbe auf das gleiche Format gebracht haben!

Lichtmaler (2020-08-28 11:43)

Hallo Frank,

sehr gute Darstellung! Es ist immer wieder wohltuend, wenn Richtigstellungen auf physikalischen Fakten basieren ;-)

Beste Grüße aus dem Taunus

Michael Hadrosek (2020-08-14 20:24)

Hallo Frank,

ich habe mir vor ein paar Wochen das Buch “Das Posing-Handbuch” von Lindsey Adler gekauft und es ist mir ebenfalls negativ aufgefallen, dass die Autorin die Veränderung des Abstandes von der Kamera zum Objekt bei Brennweitewechsel unterschlagen hat. Das hat mich sehr gewundert.
Ich habe mir das versucht zu erklären warum sie es nicht erwähnt. Ich dachte sie will vielleicht keine weitere Unbekannte “x” in die “Gleichung” einbringen. Hierzu würde sich sofort Klärungsbedarf ergeben, auf den sie vielleicht in dem Buch nicht eingehen wollte. Es wäre eventuell für machen Leser etwas zu viel und es könnte vielleicht für zusätzliche “Verwirrung” sorgen. Keine Ahnung warum sie es nicht vollständig erkärt hat.
Mich freut es, dass es ich nicht der einziger bin, den das geärgert hat. Ansonsten sind für mich in dem Buch einige wertvolle Tips zum Posing. Diese werde ich im meinen kleinen Studio umsetzen.

Viele Grüße aus Mannheim
Michael