Fotografie Blog

von Frank Tegtmeyer, Henstedt-Ulzburg

Design-Elemente: Arabeske

Arabesken

Foto: Justin Luebke

Die Arabeske oder auch S-Kurve, Schlangenlinie, geschwungene Linie oder auch “William Hogarths Linie der Schönheit” ist eine der mächtigsten und schönsten Möglichkeiten, den Blick des Betrachters eines Bildes zu lenken. In diesem Artikel wird dieses Gestaltungsmittel näher vorgestellt.
Der Artikel ist Teil einer Serie, die Bildkomposition unter Nutzung der Dynamischen Symmetrie, der Gestalttheorie und anderer gestalterischer Mittel behandelt.

Der Begriff Arabeske ist in der klassischen Definition viel enger gefasst. Alternative Begriffe, die man in der Fotografie und Malerei verwenden könnte, wären zum Beispiel S-Kurve, Serpentine oder Schlangenlinie. Diese engen aber die dadurch beschriebenen Formen sehr ein. Ein allumfassender Begriff wie “geschwungene Linie” klingt sehr steif und ist unhandlich. Ich verwende also auch den Begriff, den Myron Barnstone in seinen Vorlesungen benutzte: Arabeske.
(im Video etwa bei 7:50)

Wie auch bei anderen Linien in Bildern müssen Arabesken weder durchgehend noch physisch vorhanden sein. Auch imaginäre Linien wirken auf unser Unterbewußtsein - ein gutes Beispiel ist die Blickrichtung einer Person - diese erzeugt eine Linie im Bild, die weder sichtbar noch physisch vorhanden ist. Trotzdem entfaltet sie eine Wirkung auf den Betrachter.

Blickrichtung

Foto: Ali Yahya

Arabesken - wie, wo und wozu?

Eine Arabeske kann wie im Einstiegsbild zu diesem Artikel einfach durch Helligkeitsunterschiede in einer Wolkenstruktur gebildet werden oder wie im folgenden Bild durch verschiedene Helligkeiten von Blättern, auch wenn diese in der Realität nicht einmal eine unmittelbare Verbindung zueinander haben - notwendig ist nur die optische Wirkung, die in der zweidimensionalen Darstellung beim Betrachter die Illusion einer Arabeske hervorruft:

Arabesken im Wald

Können Sie im obigen Bild Arabesken erkennen?

Wenn man darin ungeübt ist, fällt es schwer, die “versteckten” Arabesken zu erkennen - ich selbst habe damit auch manchmal Schwierigkeiten. Wenn man aber bei Bildern und in der Natur ganz bewußt das Erkennen von Arabesken übt, wird es schnell einfacher. Und hat man das erst einmal geschafft, wird die bewußte Nutzung der Arabesken in der Bildkomposition schnell zum Gewohnten. Hinweise zum Erlernen von Techniken finden Sie übrigens in meinem Artikel “Bildkomposition lernen”.

Egal, ob Sie die Arabesken erkennen können: diese sind vorhanden, auch wenn Sie sie nicht bewußt bemerken, und üben trotzdem auf einer unbewußten Ebene eine Wirkung auf den Betrachter aus. Gerade dann, wenn sie nicht offensichtlich sind, entfalten Arabesken ihre beste Wirkung.

Hier sehen Sie die Arabesken im vorigen Bild:

Arabesken im Wald

Sie können sicher erkennen, dass die Arabesken nicht durchgängig sichtbar sein müssen. Sie werden vom menschlichen Gerhirn auch dann als solche erkannt, wenn Teile der Arabeske verdeckt sind. Das Gehirn ergänzt die fehlenden Teile einfach.

Dieser Mechanismus ist in der Gestalt-Theorie als “Gesetz der guten Fortsetzung” formuliert (siehe Artikel “Bildkomposition mit Dynamischer Symmetrie und Gestalttheorie”). Dieses Gesetz besagt im Wesentlichen dass das Gehirn immer versucht, Linien in der einfachst möglichen Weise fortzuführen und zu verbinden. Darauf ist der Mensch als jagendes und gejagtes Wesen im Laufe der Evolution geprägt worden - Mustererkennung ist eine wichtige Fähigkeit im Überlebenskampf.

Können Sie die Arabeske im folgenden Bild erkennen?

Gesetz der guten Fortsetzung

Hier eine Version, bei der einige Punkte entfernt wurden. Diesmal sollte die Arabeske offensichtlich sein:

Gesetz der guten Fortsetzung

An den Kreuzungspunkten der Arabeske sorgt unsere Wahrnehmung nach dem Gesetz der guten Fortsetzung dafür, dass nicht “abgebogen” wird, wenn noch eine einfachere Fortsetzung der Linie erkennbar ist. Das menschliche Gehirn folgt also nicht den rot markierten Pfaden (folgendes Bild), sondern nimmt den einfachen “geraden” Weg über die Kreuzung.

Gesetz der guten Fortsetzung

Wozu kann man Arabesken in einem Bild einsetzen?
Ich hatte schon das “Lenken des Blicks” des Betrachters erwähnt. Ein gut komponiertes Bild hat in der Regel zwei Eigenschaften - Bewegung und Einheit.

Bewegung ist recht einfach erklärt: die Bildkomposition sorgt dafür, dass der Blick des Betrachters in einer vom Künstler gewünschten Weise durch das Bild geführt wird. Das funktioniert nicht immer zu 100%, aber zumindest der “Einstieg” in das Bild, also das, was als erstes wahrgenommen werden soll, kann durch diverse Techniken ziemlich genau festgelegt werden. Die weitere Bewegung des Blicks kann zum Beispiel durch Arabesken initiiert und geführt werden.

“Einheit” sorgt dafür, dass die diversen Bildbestandteile nicht einfach isoliert nebeneinander wahrgenommen werden. Die Bildelemente werden zueinander in Beziehung gesetzt und haben eine Verbindung zueinander. Diese kann offensichtlich oder versteckt realisiert werden. Arabesken sind ein sehr mächtiges Mittel, diese Verbindungen zu realisieren.

Erkennung von Arabesken

Oft ist es schwierig in einer Szene die Arabesken zu erkennen.
Es gibt aber einen einfachen Trick, wie man sich das erleichtern kann:

Kneifen Sie einfach die Augen so weit zusammen, dass die Szene unscharf wird. In einem unscharfen oder sogar richtig verschwommenen Bild werden Sie nicht von Details abgelenkt, die die Erkennung der Arabesken erschweren. Sie reduzieren sozusagen das Bild auf das Wesentliche (siehe auch Bereich des größten Kontrasts).

Einsatz in der Fotografie

Sicher ist Ihnen in Anleitungen zur Bildkomposition schon einmal der Begriff S-Kurve begegnet. Die S-Kurve stellt die einfachste Arabeske dar und wird meistens so offensichtlich eingesetzt, dass es schon wieder langweilig ist.
Hier ein Beispiel:

Beispiel für S-Kurve

Trotzdem entfalten solche Bilder ihren Reiz und zum Üben mit Arabesken sind sie allemal geeignet. Interessanter und auch wirkungsvoller sind allerdings Arabesken, die kompliziertere Formen haben und unterbrochen sind.

Auch beim Fotografieren von Modellen kann man Arabesken mit Hilfe des Körpers erzeugen. Am bekanntesten und auch am einfachsten ist dabei der von den alten griechischen Bildhauern erstmals eingesetzte “Kontrapost”, bei dem nur ein Bein belastet wird und dadurch das Becken in Schieflage gerät - mit der Wirkung, dass der gesamte Körper eine Arabeske erzeugt!
Ich bin sicher, sie können das im folgenden Bild gut erkennen:

Beispiel für Kontrapost

Für alle, die es nicht direkt erkennen können, hier die Hilfestellung:

Beispiel für Kontrapost

Auch wenn Sie sich intensiv mit der Nutzung von Arabesken beschäftigen, wird es lange dauern, bis sie sie so effektiv und meisterhaft einsetzen, wie zum Beispiel Adolphe-William Bouguereau.

Trotzdem: es lohnt sich!

Hier eines von Bouguereaus Meisterwerken (Die Geburt der Venus) mit einer Menge von Arabesken - können Sie sie erkennen?

Bouguereau: Die Geburt der Venus


(optional, wird nicht veröffentlicht)

Geben Sie hier Ihren Kommentar ein:

Die Kommentare werden von mir manuell geprüft und eingearbeitet. Es kann also eine Weile dauern, bis Ihr Kommentar hier auf der Seite erscheint.
Achtung: Wenn Sie über IPFS zugreifen, funktioniert das Kommentarformular nicht.